Die vielen Photos, die meine Vorfahren mir hinterlassen haben, sind fast nie auf der Rückseite beschriftet; leider, denn es gibt so viele Bilder, auf denen ich zum Beispiel gerne wüsste, wer drauf abgebildet ist. Aber es gibt eine ganze Serie von Bildern, alle im Kontaktabzugsformat, (allerdings größer als bei den Kleinbildern, an die einige von uns sich noch erinnern, 5 x 5 cm würde ich schätzen), die hinten datiert sind. Auf den 12. Juli 1941. Was war an diesem Termin so besonders? Die Geburtstage der auf den Photos anwesenden Personen weiß ich entweder noch oder habe sie mittlerweile recherchiert, das kann es nicht gewesen sein. Die Bilder haben auch nix festliches, obwohl sich ungewöhnlich viele Leute im Karwinkelgarten versammelt haben.
Da haben wir Willi, mal mit dem Weißbierglas, mal mit – wie wir jetzt wissen – Ottis Akkordeon, neben ihm seinen Bruder Gustl, mein Opa, in verschiedenen Stadien der Bekleidung, aber immer mit den berühmten Filzpantoffeln. Dann das kleine Peterle, der sich zusehends heranschleicht, begleitet von seiner Mama, meiner Oma Luisl und am Ende hat er sich einen Klappliegestuhl erobert, dem Blick nach könnte das von vornherein seine Absicht gewesen sein.




Dieses Photo ist grandios, es ist, als könne man ihm über die 80 Jahre hinweg direkt in die Augen schauen.
Und wer ist noch da?

Konradine, Willis und Gustls Mutter ist „aus München“ gekommen, wie es in den Briefen manchmal heißt, wenn sie aus der Frauenstraße in der Stadt in den noch nicht lange eingemeindeten Vorort Obermenzing kommt. Das Peterle freuts und sie wohl auch. Die Haare könnte sie frisch gefärbt haben, ganz dunkel sehen sie aus. Und Willi, ihr Sohn, der ihr ja gerne und nachhaltig aus dem Weg geht, scheint für diesem Tag seinen Frieden mit ihr gemacht zu haben.
Später versucht sich Konradine dann an der Hängematte. Die aufzuhängen, während der kleine Peter schon drinhockt, war wahrscheinlich ein Ding der Unmöglichkeit. Und dann sitzt sie bei Luise und der anderen Oma am Kaffeetisch, den sie von der Terrasse weg mitten in den Garten verlegt haben. Ich muss nicht erwähnen, dass ich diese Tischdecke noch besitze, aber sogar das Gerüst der Gartenbank steht in Mannheim gut verstaut hinter der Hütte im Gärtchen. Wenn mich nicht alles täuscht, steht auf dem Kaffeetisch auch eine Flasche Rum, also vielleicht gab’s auch Tee.


Dann noch ein Foto von Luise mit ihrer Mama, vielleicht ist es jetzt schon später, die Schatten scheinen länger und das Licht ein bisschen milder. Luise blättert in einer Zeitschrift und Oma Annie ist am Nähen oder Sticken.

Diese Bilder zeigen einen ganzen Samstag im Garten, einen Blick in die Vergangenheit in einer Nähe und ungestellten Privatheit, die mir den leeren Platz auf der Bank anbietet, als könnte ich mich einfach grad dazu setzen.
Kaffee gibt es im Laufe des Tages auch für Gustl, dann nochmal für die ältere Generation und Luise selbst gönnt sich auch ein Stück Kuchen:





Hm, das ist jetzt aber nicht nochmal Gustl? Ohne Pantoffeln, das kann ja wohl nicht sein, oder? Jedenfalls möchte er in Ruhe eine rauchen und das kleine Peterle erkauft sich das mit der schicken Sonnenbrille. Der muss wirklich ein Strietzi gewesen sein. Meinen Vater sieht man nie, also vermute ich, dass er, in diesem Fall der große 13-jährige Bruder, der Photograph war. In seiner ruhigen Art ist es ihm bestimmt gelungen, dass seine Motive sich nicht bemüßigt gefühlt haben, eine Pose einzunehmen.
Was es mit diesem Tag auf sich hatte, habe ich erst herausbekommen, als ich auf die Idee kam, im Internet die Wetterdaten für diese Zeit zu recherchieren. Der 12. Juli 1941 war mit 31° der heißeste Tag des Jahres und für damals außergewöhnlich heiß. Da sind sie alle aus der Stadt rausgefahren, um im kühlen Grün des Karwinkelgartens der Hitze zu entfliehen und sich den Tag bei Gustl und Luise zu vertreiben. Damit erklärt sich auch, dass Oma Luisl ganz ungeniert im Unterhemd am Tisch sitzt. Vielleicht war ich ja doch mittendrin…