Es ist jetzt bald ein Jahr, dass ich diese Seiten veröffentliche und jeder Beitrag, den ich in die Welt lasse, komplettiert ein Mosaik. Ich habe die Seite, mit der ich euch bisher begrüßt habe, – Was ich hier erzählen will – aufgehoben. Sie ist nicht mehr aktuell, weil sich die virtuelle Welt hier und meine echte Welt ebenso gewandelt haben. Aber sie trägt immer noch, hat noch was zu sagen und enthält Informationen, die ich euch jetzt nicht mehr zu erzählen für nötig befinde. Deshalb bringe ich es nicht übers Herz, sie verschwinden zu lassen und ich empfehle sie vor allem den BesucherInnen, die hier zum ersten Mal hereingeschlendert kommen.
Aus den Bruchstücken, die ich hier wie Steinchen ins Wasser geworfen habe, formt sich langsam ein Bild, immer noch zu vielgestaltig, um sich zum Beispiel in die Linearität eines Buches pressen zu lassen, aber es fühlt sich nicht mehr so disparat und vereinzelt an wie zu Beginn. Die strikte Trennung zwischen meinen im Zwischenreich der Wachträume erlebten Szenen und den Geschichten, Bildern, Zeichnungen und Fotos meiner diversen Vorfahren weicht zusehends auf. Die Traum(a)szenen sind zurückgewichen und verschmelzen mit Erinnerungen, die sich real anfühlen. Diese müssen nicht erobert oder aus quälenden Tiefen hervorgezogen werden, sondern gehören zu mir und fühlen sich so leichter an; könnten vielleicht sogar irgendwann einmal die Flügel ausbreiten und fliegen wie ein Rabe.
In der historischen Abteilung, allem voran der Karwinkelgarten, sind mir meine Großeltern, Opa Gustl und Oma Luise, so nahe gerückt, dass ich es nicht mehr als „Zwischenreich“ empfinde. Ich habe mir ihr Leben in dieser Vergangenheit, lange bevor ich geboren war, in einer Weise angeeignet, dass es sich wie ein Teil meines eigenen Lebens anfühlt. Grade als ich die unzähligen Briefe transkribiert habe, bin ich hin und wieder komplett in diese vergangene Welt eingetaucht, stand mit ihnen im Schuhgeschäft und habe beim Kruschteln in den Schubladen Unordnung veranstaltet.
Zu den Beiträgen, die im Umfeld der Psychoanalyse entstanden sind (Entdeckung des Zwischenreichs), gesellten sich im Laufe dieses Jahres vor allem malerische Beiträge. Das Malen gehört zum Schreiben dazu, als würden die beiden sich zu einer runden Vollkommenheit komplementieren. Wenn ich Texte, wie zum Beispiel genau diesen hier, bastle, kann ich nicht dran bleiben, sondern muss alle paar Minuten aufstehen und vom Laptop weghüpfen, als wäre es heiß gelaufen wie eine unbewachte Herdplatte. In der vierten Ecke meines sogenannten Dornröschenzimmers steht der Maltisch und mit dem Aquarellieren verhält es sich sehr ähnlich: nach einigen Minuten der intensiven Konzentration – eintauchen wie ein Pinsel ins Wasserglas – muss ich auch hier wieder aufspringen; das allerdings mit höchster Vorsicht, da auf meinen Bildern meistens das Wasser so hoch steht, dass es nur durch die Oberflächenspannung gehalten wird. Früher bin ich bei jeder dieser Unterbrechungen eine rauchen gegangen, solche kreativ-produktiven Schübe würden ganz schön ins Nikotin-Kontor schlagen.
So werden meine psycho-traumatischen Beiträge malerisch vervollständigt durch farbige Blogs, in denen es mir gelingt, mich den körperlichen Aspekten meiner Ramponiertheit zuzuwenden, wie zum Beispiel die Krebsbilder oder die Ergebnisse eines Schädel-MRTs.
Mit Willi zeichnet, Steffi malt habe ich dann zum ersten Mal eine spürbare Brücke zum historischen Teil meines Zwischen-Reichs geschlagen, die Aufregung und der emotionale Ausbruch, der mich beim Ausmalen seiner wunderbaren, aber grauen Zeichnungen ergriff, war im wahrsten Sinne des Wortes ergreifend. Was hier passiert war, wurde mir so richtig erst klar, als ich mich nicht entscheiden konnte, wo dieser Beitrag hin sollte: „psychologisch“, „historisch“ oder „malerisch“? Passte alles nicht mehr. Also kam er vorerst einmal einfach überall hin.
Bei den gesammelten Großonkels auf der einen Seite, der schwarzen Großmutter und meiner Patentante auf der anderen Seite habe ich in jedem von ihnen auch einen Aspekt meiner Person erst entdeckt und dann klarer verstanden. Bei Onkel Willi ist das von einem tiefem Mitgefühl getragen, obwohl ich mir sicher bin, dass wir uns im richtigen Leben kaum verstanden hätten; ähnlich nahe ist mir Tante Liselotte als der lebenshungrige Backfisch, der sie mal gewesen sein muss, gekommen.
Und irgendwann war der Zeitpunkt gekommen, an dem ich meinen Großeltern – Opa Gustl und Oma Luisl – nicht mehr ausweichen konnte und ich mich der Welt, die sich in ihren Briefen öffnete, stellen musste. Die Scheu davor war begründet in dem Muffensausen vor der zu erwartenden Nähe, die mich dann so freundlich aufgenommen hat. Ich bin in ihren Alltag während des 2. Weltkrieges über mehrere Wochen eingetaucht, es hat gedauert, die Briefe zu entziffern. Oma Luisl erzählte viele kleine Geschichten, manche von ihnen haben sich wohl in derselben Küche abgespielt, die für mich kleine Steffi ein zentraler Ort war. Das hat dazu geführt, dass ich im Laufe dieses Jahres mit diesem Eintauchen – ja, wieder ist es ein Eintauchen, wie in das stille, unbewegte Wasser im Kuseler Vitalbad, wenn ich die Einzige bin, die dort im Schwimmerbecken ihre Bahnen zieht – meinen Frieden mit meiner Herkunftsfamilie schließen konnte. In diesem Sinne ist die gesamte historische „Abteilung“ hier in den psychoanalytischen Prozess mit integriert worden, während zur gleichen Zeit der – nennen wir ihn einmal, trotz der auch manchmal wunderschönen Szenen: traumatische – Bereich mehr und mehr auch mit simplen biographischen Erinnerungen gefüllt werden kann.
Was es schon von Anfang an hier auch gab, ich aber anscheinend so gut versteckt habe, dass es kaum einer gefunden hat, sind die Texte, die ich eingelesen habe und so zum hören zur Verfügung stelle. Deshalb hier nochmal ein extra Hinweis darauf. Die Briefe von Gustl und Luise aus dem 2. Weltkrieg möchte ich dort im Laufe des nächsten Jahres auch in der Hörversion veröffentlichen, sukzessive.
Und das erste Jahr rundet sich damit, dass es mir gelingt, das große, neue Kapitel der Musik in Form zweier Tenor-Instrumente – eine holzatmende Blockflöte und ein matt golden schimmerndes Saxophon – auch hier zu schreiben, um nicht zu sagen, zum Klingen zu bringen: Der Soundtrack meines Lebens, Teil 1 und 2 gibt es schon, der dritte ist in Arbeit. Ob drei Folgen dafür reichen werden, weiß ich noch nicht.
Was mich zusehends an diesem Blog-Format hier stört, ist der Fokus auf die Aktualität. Was nicht mehr von heute oder wenigstens von gestern ist, verschwindet einfach in einem schwarzen Loch der Vergessenheit. Das ist für meine Reisen in die weite Vergangenheit besonders schmerzhaft. Dem stelle ich jetzt hier, hoffentlich nicht zu weit unten, um noch gesehen zu werden, meine gesammelten Blogs in der historischen, chronologischen Reihenfolge entgegen und gebe damit dem Alter das Recht, das ihm gebührt.
Zusätzlich ist es eine Gesamtschau der Blogs des letzten Jahres, die sich hier wie beim Finale im Theater vor euch verbeugen und als Zugabe zum absichtslosen Flanieren einladen:
Ausblick
Und was bringt das nächste Jahr?
Außer den versprochenen weiteren Teilen des Soundtracks meines Lebens und der Vertonung von Opa Gusts und Oma Luises Briefen möchte ich noch weiter in Onkel Willis Schachtel graben, da sind noch ein paar seiner schrägen Kurzgeschichten, ein paar Blicke in sein Leben und ein paar seiner schönen Zeichnungen.
Und meine ziselierten Schüttbilder verdienen auch mehr Aufmerksamkeit, es erwartet euch also Einiges!