

Wilhelm Weidemann. München
5. April 1916
Überweisung in die Paketpost, wo ich der Reservegruppe 1 zugeteilt werde, die aus 4 Mann besteht. Gruppenführer Beck, Schweiger, Metzger und ich.
8. April 1916
1 Verweis! Wegen Unpünktlichkeit
4. Mai 1916 Kontrollversammlung.
Morgens um 8 Uhr: 7 Minuten zu spät! Da musste ich warten bis um 10 Uhr zur nächsten Kontrollversammlung. Endlich um halb 12 Schluss! Gott sei dank!
Mai. Datum unbestimmt.
Zwei Geldstrafen à 1 Mark wegen fortgesetzter Unpünktlichkeit
28. Mai
Umzug von der Senserstraße 1, Erdgeschoss in die Thalkirchnerstr. 14, 4. Stock links. Kostete 30.-Mk mit 3.- Trinkgeld. Die Wohnung ist sehr schön, hell, luftig. 3 Zimmer, Küche mit Kammer und ein großer Gang
6. Juni 1916.
Neuschrift des „Kragerl“ gelesen. Sehr interessant, 10 Pfg.
Heute gegen Abend um halb sieben standen Telegramme angeschlagen, dass Lord Kitchener mit dem gesamten englischen Stab auf hoher stürmischer See durch Schiffsunglück infolge Mine oder Torpedo ertrunken sei? Wer’s glaubt? Ich noch nicht! Der Bericht entstammt angeblich dem W.T.R. Als ich etwa um viertel nach 12 Uhr nachts vom Dienst nachhause ging, hörte ich zufällig folgende Worte: das kannst du glauben, wenn heute eine Revolution ausbricht, dann werden wir geradeso erschossen wie es in den anderen Städten war. Der andere drauf: Ich nicht, denn ich bin eben nicht dabei. Wenn so was vorkommt, dann bleib ich schön stad im Kaffeehaus sitzen. Da passiert mir nix. Also, das Volk steht auf. So ähnlich klingt das. Denn eine bloße Erwähnung ist schon mehr als gar nichts. „Abwarten u. Tee trinken!“
3ter Juni.16.
Dienst von 12 Uhr mittags bis halb 9 h abends. Heute kamen eine Abteilung Kraftfahrer mit ungefähr 10 Wagen ins Feld.
Freitag, 9ter Juni
Brief an Konrad Kiesl geschrieben, vergessen abzugeben, Kiesl selbst getroffen.
Es heißt allgemein (Gerücht) so u. soviele 10000 Österreicher seien von den Russen gefangen genommen worden. Das kann! stimmen; denn es sind Telegramme angeschlagen, dass die Österreicher auf d. Ganzen östlichen Front um mehrere Kilometer zurückweichen haben müssen
10ter Juni. Samstag. Bis halb 12 geschlafen. Abends Kiesl abgeholt, um 8 h sind wir ins Volkstheater, Stehplatz für 30 Pfg. Die blaue Küste mit Ida Roland & Pointner, beide sehr gut; Ende zwischen halb & ¾ 11 h. 4 Akte. Sehr gut besetzt, fast ausverkauft. Heute Dienstfrei. Ganzen Tag Regen.
12ter Juni Pfingstmontag! Mittags um 12 Uhr mit Gustl, Mutter & Großmutter zum „Valentin“ Kiesl ist nicht gekommen. Tagebuch geschrieben. Abends um 9 Uhr spazierengegangen.
Mittwoch, 14ter Juni
Vormittags um 12 Uhr ist ein ganzer Zug 96er ins Feld gekommen. Herrmann & Klau sind mit dabei. Karte an Kiesl geschrieben.
Samstag, 17. Juni.
Am Vormittag Unruhen am Viktualienmarkt. Wegen Butter u. Eier.
Frauen, die am Markt nichts bekommen hatten, sammelten sich am Marienplatz an und schrien nach Brot. Sie wurden an die Ihnen zugehörigen Verteilungsstellen gewiesen. Gegen Abend kam der Polizeipräsident „Grundherr“ selbst und beruhigte die Menge (angeblich). Dann später um halb 9 oder 9 Uhr begann mit einem Schlag, wie auf Befehl ein Bombardement. Die Scheiben des Rathaus-Kaffees, die auf der Dienerstraßen-Seite sind sämtlich total zertrümmert, am Marienplatz selbst sind nur 2 ganz erhalten. Auch das Zigarrengeschäft Boarder am Marienplatz wurde demoliert u. ebenso, wie die Bäckerfiliale von A. Seidl, dem Hof-Lieferanten, ausgeraubt.
2 Weiber, die angeblich (einer verlässigen Augenzeugin nach) Brotbrösel und Wasser vom Rathaus-Kaffee aus dem 1. oder 2. Stock herunterwarfen, wurden, als sie ins Auto zur Wegfahrt einsteigen wollten, erbärmlich gelyncht. Ebenso ein Schutzmann, der versucht hatte, blankzuziehen und ein preußischer Feldwebel, der von den Weibern! halb erschlagen wurde. Er flüchtete in ein naheliegendes Blumengeschäft. Dort drückte die Menge die Glastüre ein, um einen nochmaligen Lynchversuch zu machen. In der Münchner Zeitung heißt es; er habe das Volk beruhigen wollen, indem er sprach, man sollte sich auch dem Beispiel unserer Feldgrauen nach einschränken und mit Kartoffel vorlieb nehmen. Ich habe jedoch von Augenzeugen gehört, dass er sagte, man solle mit Maschinengewehren in die Menge schießen.
Es mag ja auf jeder Seite übertrieben sein, doch jedenfalls hat dieser großschnäuzige Dreckhund seinen Schnabel erkecklich weit aufgerissen.
Außerdem schadet’s ihm gar nichts, wenn er auch einmal fühlt wie wohl die „Gaben“ anderer tun, die er sonst immer austeilt. Das Beste wäre wenn man so ein Mannsbild erschlagen würde mitsamt seinen fanatischpatriotischem Geist.
Auch ein Depeschenbote, der Baumeier aus der Hochbrückenstraße 12/IV. Stock, ist verhaftet worden, wegen Schreien und Pfeifen. Kerndlmeier & Kitzel haben von einem Schutzmann zu Pferd eine Ohrfeige bekommen, wegen Johlen und Pfeifen.
An Scheiben sind zertrümmert: Kaffee-Rathaus, Hage u. Pölt Stickereien u. Herrenmoden, J. B Hauer Hüte & Stöcke, Schirme; A. Arnold Färberei, Seidl Hofbäckerei, Boarder Zigarrengeschäft. Und auch noch von einer Käsehandling, einem Orden-Geschäft, dem Hutgeschäft Seidl und außerdem noch viele kleineren Läden.
Sonntag 18. Juni.
Am Marienplatz u. in der Umgegend sind Plakate angeschlagen:
Stehenbleiben und Ansammlungen verboten
Polizeidirektion
Gezeichnet von Grundherr
Am Abend u. Nachts wiederholte Revolten im Gärtnerviertel, in der Gegend Aventin- und Reichenbachstraße. Das „Fangen“-Spiel der jüngeren Buben mit den Schutzleuten. (Zitat Münchner Post.)
Plakate der Münchner Post sind angeschlagen, dass Brotmarken solange der Vorrat reicht in den zuständigen Schulhäusern auch Sonntags von 9-12 u. 3-6 h erhältlich sind.
Nachmittags ist Fräulein Stritner dagewesen zum Kaffee, eine Augenzeugin. Abends ins Kino in der Jüngste Tag. Kinotechnik sehr interessant. Handlung sensationell aber sinnlos. (Krampf.)
Da in der Neuhauserstraße eben zur Zeit dieser Vorgänge die Trambahngleise repariert wurden, so brauchten die Demolanten nicht weit laufen, um Steine herbeizuschleppen, denn in der genannten Straße lagen sie haufenweise! Wie ich später von einem Postauto Chauffeur erfuhr, wurden gegen ½ 12 h Nachts Soldaten mit geladenem Gewehr von einem Hauptmann zur Vertreibung des „Pöbels“ herbei kommandiert. Dieser Hauptmann wurde von den Frauen mit den Worten empfangen:
„Scham di, gegen die Weiber hast a Schneid. Wennst so vui Kurage hast, nacha gehst ins Feld naus, du Bazi.“
Nach jeder Wortsalve wurde er aufs erbärmlichste angespuckt, so dass er sich genötigt sah, hinter die „Front“ seiner Soldaten zu verduften. Das ist das eine: Die Regierung hat gesündigt, ebenso, jedoch entschuldbar: Das Volk, Denn wären die Lebensmittel von Anfang an richtig verteilt geworden, so hätte es auch (kaum) einen Aufstand gegeben.
19. Juni Abends nach dem Dienst am Marienplatz gegangen. „Sehr nett“
Plakate angeschlagen Ansammlung u. Stehenbleiben verboten Polizei
Vormittags versucht, „Der Türmer“ zu verkaufen (da wenig Zeit nicht angebracht)
Nachmittags Brot- u. Lebensmittelkarten geholt. Außerdem auch Schein vom Wohlfahrtausschuß.
Mittwoch 21. Juni 16.
Den ganzen Tag frei bis halb 8 Uhr abends, dann Nachtdienst bis viertel nach 3 Uhr morgens. Feldpost wurde von 15 Mann geladen. Sekretär spinnt!
Nachmittags um 6 h die Bücher:
- Der Türmer
- Die Lokalbahn
- Die Tribunalbibliothek
- Die kleine Vorsehung und
- mehrere Reclam Univers verkauft.
Für alle mitsammen 3 Mark 45 Pfg. erhalten hundsgemein!
Davon 1 Mark an Frank bezahlt (Schulden), 60 Pfg. für Zigarettentabak, 5 Pfg. Cigaretten-Papier.
30 Pfg. Käse Brot u. Pfund Kaffee, 10 für Schuhreparatur, bleibt 1 Mark über.
Nachmittag Vorladung erhalten: Jugendlicher Herr W. Weidemann hat sich baldmöglichst im Persönlichen Büro des Postamts-meisters Im Packet-Postamt, Bayerstr. 12, Zimmer 10 einzufinden. München. 21.VI.16.
Gezeichnet Müller.
Warum? Ist noch nicht genau bekannt. (Wahrscheinlich Lohnerhöhung! Das wär‘ nicht zu verachten.) Schokolade u. Dauerbrot mitgebracht.
Donnerstag, 22.Juni 16. (Fronleichnam).
Dienstfrei ganzen Tag. Bis 11 h geschlafen. Nachmittag Fräulein Schnellberger geschrieben, sollte abends bis 7 Uhr kommen. An Kaffe leit’s scho no. Abendbrot Tee mit wenig Kuchen. Zither gespielt (sonst sehr langweilig)
Die Wohnung von Fräulein Schnellberger ist sehr schön. Hochmodern à la Kammerspieldekoration. Man fühlt sich wie im Himmel, wenn man wieder mal so wo hinkommt, alles gediegen und vornehm. Herrliche Bilder, Dunkelgrün saftige Polstermöbel, 2schläfriges Bett. Wunderbares Boudouir. So stell ich mir meine zukünftige Wohnung vor. Doch – vielleicht alles eitel Wahn. Wollen sehn wie mein Schicksal sich erfüllt mit wundersamen Einfällen u. Launen, die dahinfliegen wie Rauchwolken, in nichts zergehen. Amen!
Freitag, 23. Juni. 16.
Neue Wohnung angemeldet. Gott sei Dank, dass ich den alten Hanswurscht nimmer hab!
Donnerstag, 29.Juni16.
Neue Weltliteratur. Shakespeare: Der Kaufmann von Venedig. Ich kaufte Sie und las den vorderen Teil eben im Dienst, als Schreiber der Zwerg daherkam.
Was? Sagte er. Du lest Klassiker.
Ja. Sagte ich.
Er: Und da machst du ’nen simplen Postler; ein Mensch, der Klassiker liest u. versteht ist zu etwas höherem geboren, hierauf schaute er mich bedeutungsvoll an.
Ich muss zu meiner Beschämung gestehen, dass mir diese schmeichelhafte aber ehrliche Rede des kleinen Schreiber sehr gut gefiel. Er sah mich schon des öfteren mit irgend einer Lektüre in der Hand. Ich war anfänglich immer erstaunt über seine Ansichten und Belehrungen, denn ich hatte ihn anfänglich für einen rechten Kinds-oder-Dummkopf gehalten. Wieder ein Beweis, wie stark man sich irren kann.
Freitag, 30.Juni.
(Zahltag) habe bekommen: 69.34 Mark
Tabak und Zigarettenpapier gekauft. Tagebuch gekauft.
1.Juli. Samstag.
Schönes Wetter sehr heiß. Abends im Bett noch ein Gedicht geschrieben als Einleitung fürs Tagebuch. Meiner Anschauung nach gut gelungen:
Vergangenheit!
Wie ein junger Wandersmann
Traurig bald und heiter
Ging ich meines Lebens Bahn
Und ging immer weiter
Jugendzeit Du flogst mir weg,
Hattest immer Eile
Doch nun halte ich dich keck
in des Buches Zeile
Alte Zeit du stehest wieder
Nun vor mir als Neue –
Wehmut schleicht sich still hernieder
(Schmerzen, Scham und Reue)
Lust u. Scham u. Reue
3. Juli 16.
Kiesl ist gekommen und hat mir Tinte gebracht, die Kücheneinrichtung hab ich erst am nächsten Tag gekauft. Nachtdienst bis 2 h morgens, eigentlich bis halb 5. Grüner hat mich gehen lassen. Ich habe die Erfahrung wiederum gemacht, dass Menschen, welche im Allgemeinen als „grimmig“ beurteilt werden, oftmals besser sind und mehr Gerechtigkeitsgefühl haben, als ein anderer, der einen immer süß anlächelt und bei jeder Äußerung recht gibt, um hinterher über den belächelten loszuziehen
Mittwoch, 5.Juli Nachtrag.
Als ich Abends nach Dienst nach Hause ging, redet mich am Bahnhofplatz beim Automat ein Herr an (ein feiner).
So, die Post geht auch schon heim;
Ja, sage ich Gott sei Dank.
Er: Wann fangen’s denn wieder an.
Ich: morgen Nachmittag.
Er: Na, da geht’s ja.Wir kamen an der Schillerstraße an.
Ich sage: Gute Nacht.
Er: Gehn Sie da runter.
Ich: ja.
Er: Gehn’s heut no‘ zum Gspusi.
Ich: Na.
Er schreit mir nach: wohnen’s weit weg, wo wohnen’s denn, ich geh auch mit.
Ich: sagte gar nichts drauf, sondern ging eiligst weiter, denn ich kannte mich schon aus, mit wem ich es zu tun hatte. (Nämlich ein warmer Bruder)
Ja das gibt es.
10. Juli. Montag. Frei. Vormittag Kiesl gekommen. Mit Gustl ins Müllerbad gegangen. Erstesmal schwimmen probiert. Mit Gürtel!
10.Juli. Bemerkungen. Als ich nachts nachhause ging, ich hatte Kiesl begleitet, brannte im Redaktionszimmer der „Jugend“ noch Licht.
12.Juli.
Abends um 7 Uhr 5 fuhr Konrad Dreher mit dem Zug „Holzkirchen Bad Tölz“ weg. Ich sah ihn selbst. Ein großer dicker Mann mit langen Füßen und langer Nase. Seine Manieren sind im großen und Ganzen sehr volkstümlich doch ohne einen Hang zur Derbheit. Kurz: er ist sehr leutselig. Seine Bekleidung bestand aus: (ich will mit den Schuhen anfangen) gelbe Schuhe, grauem Anzug, Wiener Stutzer, grüner Hut u. Stock.
Sexuelle „Angewohnheiten“ berühmter Männer, wie Lenbach.
A. Beck erzählte mir, dass er eine Frau kenne, die heute noch unter den Lebenden weilt und wöchentlich 1 x ins Atelier zu Lenbach kommen und sich nackt ausziehen musste. Darauf lief er dem Weibe mit einer Peitsche nach u. peitschte sie (das nackte Weib) so lange, bis sein Zeugungsorgan denjenigen Vorgang ausübte, der sich für gewöhnlich, bei der Liebkosung eines Weibes vollzieht. Das weibliche Subjekt bekam dafür jedesmal 20.- Mark. „Ein großer Künstler“
Donnerstag, 13.Juli.16.
Nachmittags Heinrich Heines „Reise v. München nach Genua“ gelesen. Sehr geistvoll, witzig und hauptsächlich ehrlich, nebenbei gesagt.
Freitag 14. Juli.16.
Tabak, Schokolade, Conserven u. Paraffin gebracht. Auch Salami.
Sonntag, 16.Juli16.
Den ganzen Tag frei. Um 12 Uhr mittags aufgestanden. Am Nachmittag Regen & Sonnenschein. Fräulein Schweiger ist dagewesen mit ihrer Zither (langweilig). Abends mit Gustl im Volkstheater bei „Zyklamen“, Gastspiel von Leopold Kramer. Das Stück war nichts besonderes… Abends vor dem Theater Stauder getroffen. Der ist jetzt bei Ball Dekorateur für monatlich 220.- Mark
Mittwoch, 19.Juli.16.
Abends. Hernach auf Kagerl am Sendlingertor gewartet, erst ist er zu mir herauf gekommen, dann sind wir ins Automat.
Automaten-Idyll!
Wir gingen ins Automat am Bahnhofplatz. Tranken einen sehr! wässerigen „Punsch“. Ich bemerkte, dass nebenan der „Chokolade-Hahn“ fortwährend lief u. machte die Kellnerin darauf aufmerksam. Sie stellte einige zwei bis drei Tassen unter und schrie durch das Tassenbuffet:
„Freiln Maier, der Schokolad laaft allewei“
Endlich nach einiger Zeit tönte eine weibliche Stimme von hinten hervor:
„Lass’ns’n nr laffa, dös is ja blos a Wassa“.
Wir mussten beide sehr lachen darüber.
Als wir gingen, sah ich am Eingang ganz allein an einem Tisch einen Mann – anscheinend Arbeiter oder sonst etwas -, sitzen. Er hatte in der Hand eine Schokoladenwaffel und biss eifrig davon herunter; vor ihm auf dem Tisch stand eine halb geleerte „Sport“-Zigarettenschachtel. und 2 Schoppengläser mit Bier. Dieser Mensch muss einen sonderbaren Magen haben. Guten Appetit. Kriegskost.
Donnerstag, 20.Juli.16.
Wir fuhren am Vormittag auf dem Bahnhofsperron mit einem Wagen russischer Pakete zum Aufzug. Ein Zug voll von russischer Gefangener stand im Geleise, neben dem ich den Wagen bewegte. Die Gesichter der Russen erhellten sich und lachend sprachen Sie, wobei sie auf die Pakete deuteten: „Russland Bagged.“ (Russische Pakete). Es war ein trauter „Magengruß“ aus ihrer Heimat.
Samstag, 22.Juli.
Dienstfrei, bis 3 Uhr nachmittags geschlafen. Gegen Abend kam ein Urlauber (Eisenbahner aus dem Felde von „Verdun“) als Abgesandter des „H“ zu uns namens Fiemayer. Das Essen sei jetzt zu Felde miserabel, teilte er mit, außerdem Grüße von „H“
Nach 7 Uhr kam Kagerl zu mir. Er brachte die „Martinsklause“ von Ganghofer; ein großzügiges, gewaltige, herrliches, historisches Werk. Wir gingen ins Volkstheater zu: „Fürst Sipperl“ ein sehr seichtes sogenanntes „5 Minuten“ Stück. Nach dem Theater wieder ins Automat. Um halb 3 Uhr eingeschlafen. (Ich komme jetzt keinen Tag mehr vor 2 oder 3 h ins Bett.)
Montag, 24.Juli.
Abends gegen ½ 8 h sah ich im Bahnhof einen Trupp serbischer Gefangener. Die meisten legten sich faul auf den Steinboden u. benutzten ihre Habseligkeiten als Kopfunterlage… Es sind lauter große feste stämmige sonnverbrannte, sehr dreckige Gesellen!
Donnerstag, 27.Juli.16.
Also ich kam abends um 8 Uhr 35 ins Postgebäude in den Dienst, da erhalte ich die Mitteilung, dass ich in den Ladedienst zur Gruppe Schielein überwiesen werde. Ich ersuchte den Verwalter, ob man denn nicht einem Tagarbeiter diesen Posten geben könne. Nichts zu machen. Mit ironischer Miene sagte Verwalter Schlosser: „Herr Weidemann, – die schönen Zeiten der Reservegruppe sind jetzt vorüber für Sie!“ Ich machte bis 12 h bei der Reservegruppe Beck noch Dienst und musste dann bis 2 h morgens verteilen. Das ist eine der stumpfsinnigsten Beschäftigungen bei der Post. Um ½ 3 h legte ich mich todmüde zum Schlafen.
Freitag, 28.Juli.16.
Dienst. No. 7 in der „Kolonne“. Von halb 12 bis 5 Uhr 20 und von halb acht bis 11 Uhr abends Dienst, dem Turnus gemäß bis halb 2 Uhr. Das sind 9 ½ Stunden. Wenn ich bei der Reservegruppe geblieben wäre, hätte ich heute freigehabt. Bevor ich den Dienst begann, ging ich ins Personal- Büro zum Sekretär Örtel. (ein spitzfindiger Bürokrat). Ich ersuchte ihn, ob ich nicht wieder zur Reservegruppe kommen könnte. Ausgerutscht… Abgeblitzt. Der Hund sprach: Ich sehe keinen triftigen Grund, warum ich Sie in die Reserve überweisen sollte. Nachmittags um ½ 6 ging ich zum Sekretär Alfertshofer im Telegraphengebäude und legte ihm die Gründe klar, warum ich wieder in das Telegraphenamt überwiesen sein wollte. (Die niedere Bezahlung) Er versprach, sobald etwas frei werde, mich herüberholen zu lassen.
Samstag, 29.Juli 16.
Wir wurden gemeldet, weil wir (die ganze Gruppe alle 4) nach dem Tölzer Güterzug nicht mehr verteilt haben. Oh diese Gauner, diese Blutsauger. Hier kennt man nur Pflicht…aber kein Recht.
Montag 31.Juli. (Zahltag)
Am Vormittag bis halb 12 geschlafen und am Nachmittag Geld geholt und bei Verwalter Schmidt angefragt, ob es nicht möglich wäre, wieder ins Telegraphenamt zu kommen. Ja! Er braucht morgen 2 Boten. Also ging ich gleich zu Verwalter Jacob Oerthel und ließ mich ins Telegraphenamt überweisen, dann wieder zu Verwalter Schmidt, worauf ich den Auftrag erhielt, am Dienstag, also Morgen früh um 6 Uhr anzufangen. Seelenvergnügt ging ich nun wieder heimwärts.
Am Kaffee „Stadt Wien“ sah ich (natürlich von außen) Seibold, Seidl und Valentine lammfromm zu Gunsten des Opfertages vortragen.
Montag u. Dienstag ist Opfertag. In vielen Brauhäusern waren heute Abend Konzerte, ebenso Privataufführungen im Künstlerhaus u.s.w. Auf Kagerl wartete ich vergebens, konnte mir nicht erklären, warum er nicht gekommen. Abends ging ich zu Kiesl hinaus… auch nicht angetroffen. Also der Abend war schon verpatzt.
Dienstag, 1.August.16.
Opfertag! Der erste Tag seit fast 4 Monaten wieder im Telegraphenamt. Hier (im Telegraphenamt) werden die Dienstfahrten mit der Trambahnkarte ausgeführt. Wir haben nur mehr 20 Räder.
Mittwoch, 2.Aug.16.
Ich weiß nicht mehr genau, wann Ludl fort ist, doch er ist fort,.. – das ist leider sicher. Das Gärtnertheater war ausverkauft bei seinem Abschiedsauftritt. Am Schluss seiner Rede, die er hielt, sollte alles: Wiederkommen…. Wiederschauen auf Wiedersehen…. u.s.w. gerufen haben. Er versicherte, auf ein Gastspiel möglichst bald nach München zu kommen. Alles rennet…. Der Ludl weg… die Zampa weg…. die Ehrenfeld geht nun auch Gassi. Nun fehlt nur noch, dass der Seibold Rudi auch weggeht.
Sonntag, 6.August
Eine Neuigkeit: Ich sollte bei Schmid dekorieren. Wäre sehr erfreut davon. Vielleicht etwas zu machen. Jedenfalls wäre es kein Nachteil für mich.
Dienstag, 8. August.16.
Heute 3 Mark Kriegszulage nachbezahlt erhalten für Monat Juli. Sehr angenehm, außerdem noch 1.- Mk Trinkgeld. Zwar ein große Seltenheit, aber sehr erwünscht.
Mittwoch 9.Aug.16.
Abends um ¾ 10 gingen wir, die zwei Kagerl und ich, zur „Prinzeß“. Ein sehr feines, reizendes, gemütliches Kaffee. 1 Kaffee, eine Torte und 2 Glas Bier hier verschlungen. 1.30 Mark Zeche. Das Konzert war sehr fein. Wir unterhielten uns vortrefflich, der Georg Kagerl wird mir immer sympathischer. Er ist gelernter (?) Kunstmaler. Um 2 h ins Bett gekommen, um 5 h wieder aufgestanden.
10.Aug.
Am Vormittag ging ich zum Verwalter Alfertshofer u. meldete mich in den Apparatensaal hinauf. Abends kam ich um dreiviertel 7 zum Praktizieren. Die Beschäftigung ist hier leicht aber eintönig, mechanisch. Ich blieb dabei bis 11 Uhr nachts. Alfertshofer sagt, er brauche mich am Samstag. Also übermorgen.
Freitag, 11.August.
Heute erhielt ich eine zweite oder vielmehr 3te Vorladung zu Verwalter Benker. Es war ungefähr 5 h, als ich seine Kanzlei betrat. Ich hatte mir vorgenommen, ihm einmal die Meinung richtig zu sagen. Nicht, dass ich Angst vor ihm gehabt hätte, doch als ich bei ihm stand, dachte ich: Mein Gott, was hilft’s auch schließlich, er sitzt hier um seine Pflicht auszufüllen und kümmert sich wahrscheinlich um meine Meinung blutig wenig. Also las er mir das alte Gewäsch vor, mit der schließenden Bemerkung, dass mir das Recht der Beschwerde zustehe. Ich musste direkt lachen, als er mir diesen bürokratischen Blödsinn vorlas. Er frug mich hierauf, ob ich die Strafe annehme, was ich bejahte. Während ich meinen Namen daruntersetzte, bemerkte ich zu ihm.
Wissen Sie Herr Verwalter, wenn man von Mittag 12 h bis Nachts 11 h für 2 Mark 40 Dienst macht, dann ist man schließlich auch froh, wenn man Nachhause gehen kann. Er erwiderte mit keiner Miene oder auch nur einem Wort. Na, also! Da haben wir’s ja. Wenn man mit der Wahrheit kommt, dann hören diese Herren nicht. Die Hauptsache ist, die gute Bezahlung ihrer „guten Betätigung“. Wie viel das untere Personal verdient, dass ist alles wurscht. Vielleicht kommt einmal eine Zeit, wo ich alles vergelten kann. Aber dann: Wehe Sie! Dann werde ich Salz u. Pfeffer als gute Würze nicht fehlen lassen. Es ist eine Schande, wenn in einem sogenannten Kultur-Staate so etwas noch vorkommt. Traurig aber wahr. Und da spricht man noch von England und seinen Unterjochungen. Bei 2 40 Mk. Taggeld noch Geldstraf’n; in einem staatlichen Betrieb auch noch dazu. Und diese Dienstzeit. Täglich 14 – 15 Stunden. Wenn man einmal symbolische Denkmäler im Größenverhältnissen zueinander schaffen wollte, so müsste das Denkmal oder Sinnbild der Dummheit das aller…..allergrößte sein. Die Dummheit des Volkes wird man der Dummheit der Herren Minister, Präsidenten u.s.w. u.s.w. Regiert. Und ich selbst bin auch dabei… bei diesen Dummen. Ich lasse mir ebenso gut alles bieten und befehlen, wie die Anderen. Guy de Maupassant und Heine sind doch die wahrsten Schriftsteller, die ich mir denken kann. Ach…. Oh…. was sind wir Menschen für Viecher………………….
Außerdem erhielt ich heute noch den Dienstauftrag, morgen um 6 h meinen Dienst im Apparatensaal zu beginnen. Auch den „angenehmen“ Herrn Sekretär Dünkelmeier will ich nicht vergessen. Ich mußte auch bei ihm einen „Vortrag“ anhören, der sich wegen eines Telegramms handelte. Letzteres war an die Firma Drey Maximiliansplatz 18 adressiert und ich trug es in meinem Diensteifer zu Concurrenzfirma „Drey“ auf No. 7.
Mit den Worten: Sie werden bestraft, entließ mich der „angenehme“ Herr Dünkelmeier.
Also Strafen nichts als Strafen. Wenn nur die Belohnung für geleistete Arbeit auch im rechten Verhältnis dazu stände, dann ging’s ja. Aber so….
Nun…. die heutigen Errungenschaften betragen neben dem Rüffler wegen der Firma „Drey“ eine 1.- Mark in Geldeswert, das heißt 1.- Mark, die ich bezahle, nicht erhalte, wie man vielleicht meinen könnte.
Apparatensaaldienst!
Samstag, 12.August.
Also ganz genau Punkt 6 Uhr (übrigens eine Seltenheit) war ich auf meinem Platze im Apparatensaal, die ersten Arbeiten waren: Telegramme einsammeln, Seilport einschalten, zum Oberst gehen, der im zweiten Stock noch in Morpheus Armen, auf einer Matratze lag. Dann folgte die gewöhnliche langweilige Arbeit. Ausscheiden, Einlegen, Verteilen der Telegramme. Hier oben ist es wirklich schrecklich unendlich langweilig. Lesen ist streng verboten. Aber mich können die Herrn gern haben. Wenn ich gerne lese, tu ich’s doch. Vorsichtig muss man eben sein. Solange bis man dann erwischt wird. Ich blieb vormittags bis 12 h. Hatte dann Abends Dienst von 6 – 9 h. Nach 9 h ging ich noch zum Schütz ins Kaffe zum eisernen Kreuz. Spielte Klavier u. sang u. machte humoristische Vorträge. Einer fragte warum ich mich nicht ausbilden lasse. Er wüsste Gelegenheit wo es völlig kostenlos wäre. Wir kamen dann wieder von diesem Thema ab. Ich werde aber noch öfters, vielleicht schon übernächsten Sonntag morgen & Tag wieder in das Kaffeehaus kommen. Das wird ein zukünftige Stammkneipe für Postler. Fein-was?
Sonntag, 13. August.
Dienst im Apparatensaal. Von ½ 1 h – 10 h. Durfte aber schon um 9 25 h gehen. Unendlich langweilig. Fast nicht zum aushalten. Mich reut es beinahe schon, dass ich mich herauf gemeldet habe. Außerdem kam ich heute Mittag 5 Minuten zu spät. Musste zu Aufsicht III. Der Herr war (wie leider nicht viele) sehr anständig. Er mahnte nur. Etwas pünktlicher nächstes mal.
Montag, 14. August.
Musste heute zu Verwalter Gigl; wiederum wegen Firma Drey. Als ich bei Gigl eintrat, sagte er nichts und zeigte mir das Telegramm. Ich sagte ihm, dass ich bereits davon wisse.
Darauf er: „Wie kommen’s mir denn da vor. Dass, mein ich, könnt‘ ma doch schon sehn, ob 18 oder 7 auf dem Hausnummerschild steht.
Ich: ….schwieg, gleichgültig innerlich, äußerlich verlegen.
Er: Gehn’s zu. Sie werden bestraft.
Ich: Guten Tag Herr Verwalter.
Er: Guten Tag…
Und die Tragödie war zu Ende.
Dienstag, 15. August.
Also das wenn ich gleich gewußt hätte, dass es hier oben im Apparatensaal so fürchterlich langweilig ist, dann hätte ich mich nicht heraufgemeldet. Man schaut alle 2 bis 3 Minuten auf die Uhr, ob nicht bald eine Stunde wieder totgeschlagen ist. Und dann diese schrecklichen Bürokraten, mit ihrem eingetrockneten Hirn und ihrer ekelhaften Speichelleckerei. Gegen den Humor wird hier, wie es scheint, Gift eingenommen. Wenn wirklich einmal so ein „Herr“ lacht, dann nimmt sich das ebenso aus, als wenn ein anderer weint. Also scheußlich. Diese 195 Verwalter und 300 Sekretäre, von denen einer den anderen in der Höflichkeit „vor dem Herrn Oberpostrat“ übertreffen will. Außerdem ist auch das Rauchen strengstens und wirklich ebenso wie uns auch den Sekretären und Verwaltern verboten. Na, gute Nacht, wenn nun das Schnupfen verboten wäre. Vielleicht machte dann so manches Tabackgeschäft bankrott, denn was so eine „höhere“ Nase an Schnupftaback verträgt, das geht schier ins Geisterhafte. Doch genug davon.
Mittwoch, 16. August.
Heute morgen kam ich um 7 nach 8, das ist eigentlich 12 Minuten zu spät, denn turnusgemäß müßten wir 5 Minuten vor Arbeitszeit im Apparatensaal sein. Also ich kam 7 Minuten nach 8 h und hätte 5 Minuten zuvor kommen sollen. Mein Kollege Zwick sagt, ich sollte zur Aufsicht III gehen. Ich sah jedoch den Herrn nicht. Also setze ich mich hin, um zu arbeiten. Einige Minuten hernach kommt die Aufsicht selbst in Gestalt eines Sekretärs.
Er fragte, ob ich da sei.
Ich meldete mich, dann sprach er, ich sollte mich wenigstens entschuldigen, wenn ich schon zu spät komme.
Ich sagte ihm dann, dass ich ihn nicht gefunden hätte, was er jedoch für unmöglich hielt und entschuldigte mich.
Von einer Meldung nahm er Abstand. Nachmittag, nein Vormittag war’s um 10, musste ich zu Verwalter Gigl wegen der Beschwerde von Firma Drey.
Er las mir den alten Schmarrn wieder vor, während ich die eine rechte Hand auf ein Bücherregal legte und mit den Fingern trommelte, worauf er mich aufforderte, ich solle mich anständig herstellen.
Na, das kann ich ja machen, dachte ich und tat es.
Mir schwante schon etwas von einer Mark Strafe und wirklich: Der jugendliche Depeschenbote W. Weidemann hat die Geldstrafe von 1.- Mark zu erlegen. Natürlich, wie immer, nahm ich’s an und schmierte meinen Namen darunter.
Das wäre die 2te Mark in diesem Monat. Also jetzt habe ich’s glücklich zu 5 Mark insgesamt Strafe gebracht. Es wird immer netter.
Morgen soll ich zu Schmidt nach Sendling, vielleicht kann ich dort als Schaufensterdekorateur eintreten. Herrgott, wär‘ das fein. Na, Abwarten.
Donnerstag, 17. August.
Nachmittags um ½ 4 h war ich bei Schmidt in Sendling.
„Ach, Sie sind der Bruder von dem Weidenmüller sagte er. Also, wo haben sie schon dekoriert? Bei Roman Mayr und beim Wanderdekorateur Radsack. Ich nannte ihm dann die verschiedenen Firmen wo ich schon dekoriert hatte….
Na, und Kind Gottes sprach er, was verlangen Sie denn?
140 Mark sagte ich. Er notierte das, außerdem meine Adresse, den Namen meiner Eltern und so weiter.
Er hatte Bedenken wegen des Militärs. Wenn ich sie nun 1 oder 2 Monate habe, dann müssen Sie einrücken, dann geht die alte Geschichte wieder von vorne an, sprach er. Na, ich werde mir’s überlegen.
Also empfahl ich mich mit verringerter Hoffnung.
Ich besorgte dann Billeten fürs „Deutsche Theater“ für Mama und Lehner.
Hernach um ½ 5 h kam der Nachbar. Wir spielten zusammen Klavier und Streichzitter. Der Nachbar spielt ausgezeichnet. Besonders Märsche, diese mit feurigem… wie soll ich sagen, … Es liegt eben etwas drinnen in seiner Spielart.
Freitag, 18. August.
Vom Bette auf, kleidete mich an und ging gleich wieder zu Schmid. Als ich eintrat, sprach er: Also mein Lieber, es ist nix mit dem Probefenster. Ich habe mir’s überlegt. Wenn Sie heute ein Probefenster machen und es passt mir nicht, dann steh ich damit dem schlechten Fenster und darf doppelt zahlten. Na, da war eben nichts zu machen und ich ging. Nun ist die ganze Hoffnung beim Teufel.
27. September. 16.
Also, mein liebes Buch. Fast wäre ich dir untreu geworden und kann so gar nichts dafür. Ich hatte ja soviel zu schreiben, arbeiten, erledigen, kaufen, verkaufen und weiß Gott, was noch alles. Und was sich in kurzer Zeit alles ändern kann und geändert hat. Nun das Neueste: Ich muß einrücken. Einrücken…… ein einziges Wort und sagt mir so vieles. Doch ich werde von vorne anfangen, habe ja so vieles erlebt. Täglich neue Pläne, neue Hoffnungen, die nun zerstört werden, um wieder durch abermals neue ersetzt zu werden. Man hat Mords-Illusionen und Rosinen im Schädel und rechnet und folgert: Das machst Du so und das so und das wieder anders. Schlußergebnis: Gleich Null. Wenigstens meistenteils. Es geht eben so so, wie es will.
In letzter Zeit war ich sehr verliebt, d. h. ich bin es noch, doch allmählich stellt sich die gewohnte seelische Ruhe wieder ein. Es ist etwas ganz eigenes um die Liebe. Ich konnte nicht essen, nur schlecht schlafen u.s.w. Hätte dieser Zustand noch länger gedauert, dann wäre ich sicher auch körperlich erkrankt.
Es ist ein Gefühl, das uns (wenigstens mich) peinigt und quält, und doch wieder beglückt.
Ich suchte es mit Arbeit zu ersticken, doch auch das half nichts. Man ist nicht mehr Herr über sich selbst. Jede Kleinigkeit, die man sonst nicht oder wenig beachtet, gewinnt an Bedeutung. Man reinigt Kleider, Fingernägel, Zähne, Gesicht, ja selbst Schuhe 5x so oft als gewöhnlich. Und schließlich kann man selbst gar nichts dafür. Doch nun ist ja alles wieder vorbei, wenigstens so ziemlich.
Glücklich ist, wer vergißt, was nicht mehr zu ändern ist!
Also Schluß damit.
Am 23. September erhielt ich den Befehl einzurücken. Es war ein Samstag Abend. Ich will lieber gar nichts darüber schreiben; denn ich fände die richtigen Worte doch nicht, um diese Stimmung wiederzugeben.
Einrücken!
Das war also der erste Abschnitt eines Lebens. Was wird folgen? Einige Jahre, die vielleicht nicht zu den Schönsten meines Lebens zählen werden. Dafür werde ich aber den ersten Tag der Freiheit zu schätzen wissen und werde ihn in vollen Zügen, soweit es finanziell angänglich ist, genießen. Oh Freiheit! Die ist unbezahlbar. Freiheit ist alles.
Am liebsten möchte ich nun 4 Jahre lang die Schlafkrankheit kriegen, um dieser Schinderei zu entgehen. Doch ich werde mich wacker halten. Täglich Turn- Exerzier- und Reitübungen eventuell kleinen Rippen- oder Schienbeinbruch, denn zu was hat man denn schließlich seine Gebeine. Fleißig danebenschießen. Wird schon gehen.
Die Hauptsache ist, wenn Konrad und ich beisammenbleiben können. So einen Freund finde ich wohl in meinem ganzen Leben nimmer. Und unsere Freundschaft schwächt nicht ab. Im Gegenteil. Wir verstehen einander täglich besser, wenn dass überhaupt noch möglich ist. Und gerade in diesen jetzigen Verhältnissen weiß man das zu schätzen. So fest und kräftig als jetzt – gerade jetzt – drückten wir uns selten die Hände zum Gruß oder Abschied.
Und dann diese unbedingte Ehrlichkeit Konrad’s mir gegenüber. Ich weiß alles. Seine intimsten Geheimnisse. Unsere Herzen liegen einander offen gegenüber. Wenn ich spreche, dann weiß ich zugleich wie er darüber denkt.
Heute am 29. September habe ich mein letztes – vielleicht allerletzes – Gehalt ausbezahlt bekommen für 28 Tage. So um ½ oder ¾ 8 h Morgens ging ich zu Konrad. Er lag noch im Bette, als ich kam und war sehr erfreut. Ich aß bei ihm um 11 h zu Mittag. Nachmittags kauften wir noch verschiedenes, tranken bei mir Tee und aßen mitsammen für 1.- Mark Kuchen. Hernach ging’s zum Photographieren. 12 Stk. 1,- Mark. Abends um 6 h schieden wir. Konrad ging zu Fanny, ich wußte nicht, was ich tun sollte, holte erst mein Gehalt noch. Die Herren Sekretäre und Verwalter drückten mir noch die Hand mit Glücks- und Gesundheitswünschen. Ich glaube ein Mensch kann sonst noch so unfreundlich vielleicht sogar grob sein, doch wenn man scheidet, zeigt jeder, dass wir doch alle Menschen und immer wieder schwache, mit Fehlern behaftete Menschen sind.
30. September. Samstag. 1. Oktober. Sonntag. 2. Oktober.16.
Wir glaubten immer noch (ich sogar ganz tief), dass wir nach Landshut kommen würden, doch nun ists alles anders gekommen.
Da sitze ich nun hier in der Kaserne und schreibe, während meine zukünftigen Kollegen singen und pfeifen. Dieser Anfang wäre ja ganz gut, wenn nur die Zukunft auch erträglich wird. Ich will mit Samstag Abend beginnen. Ein gemütlicher Abend im Gärtnertheater. Man gab „das Dreimäderlhaus“. Kiesl und Seubert waren mit dabei. Musik ist reizend und gemütvoll. Ich begleitete Seubert noch bis an die Wohnung, wo wir uns lang unterhielten. Sonntag nachmittag verbrachte ich bei Kiesls Fanny unterhielt mich (einigermaßen).
Montag um 12 h kamen wir in unserer Bude in der Schwere-Reiter-Kaserne an. Am ersten Tag hatten wir nichts zu tun, weshalb uns die Zeit sehr lange wurde.
Nach und nach lernt man alles kennen und fügt sich ins Unvermeidliche. Am 2ten Tag folgte die Einweihung in die Stallgeheimisse (mit Ross-Kot vermischt). Mittwoch und Donnerstag nichts besonderes. Heute Freitag reiten wir zum erstenmale. Es ging wider Erwarten gut.
Samstag. 7. Oktober.
Heute Impfung gegen Pocken und wieder Reitübung. Gestern erstes Exerzieren. Habe sehr gemütlichen Unter-Offizier.
Samstag. 7. Oktober.
Also, mit dem Impfen ist es nichts geworden. Heut sind wir wieder geritten. Ich war so matt, dass ich mich nur mit größter Mühe auf dem Pferd halten konnte. Alle Glieder schmerzten noch vom gestrigen Ritt. Mittagsmenage gabs heute: Kartoffelpüree, „Hackbraten“ und Graupensuppe. Abends ein Stück Schweizerkäse. Wenn man mit dieser Kost allein genügen müßte, würde jeder verhungern. Ich habe beschlossen, eine Eingabe zu machen, ob ich vielleicht zum Infantriedienst kommen könnte. Hoffentlich ja.
Sonntag 8. Oktober
Menage bestand heute aus Schweinefleisch, Bratensoße, Salate und Suppe. Und war ausgezeichnet, doch im Verhältnis zu wenig. Ich trug mich dieser Tage sogar mit Selbstmordgedanken. Allmählich vergeht der Spleen wieder. Nachmittags waren Kiesls Eltern und Gustl da.
Heut Abends gab’s nichts zum Essen. Es wird immer netter. Nachmittags ¾ 5 h Appell. Heute wusch ich meinen Drillichanzug, natürlich ohne Seife. Vormittag gab’s viel zu tun: Stallfensterwaschen, Pferde putzen, tränken, füttern u.s.w.
Montag. 9. Okt. 16. Vormittag.
Reitschule. Das Reiten ging heute ganz gut. Mittagessen: Pressack Sauerkraut und Conservensuppen. Abends dünne Schokolade mit extra gebackenem Brot. (Sehr kleine Schnitten). Nachmittags Fußexerzieren 1 ¾ – 2 Std. dann Stalldienst bis 6 h. Abends Brief an Seubert angefangen.
Dienstag 10. Oktober.16. Heute fleischloser Tag. Menage Reis mit Mischbrot.
Die meisten der Rekruten verzichteten auf den „Fraß“. Nachmittags „Fußexerzieren“.
Mittwoch 11. Oktober. Vormittag Reitschule. Mittagsmenage Blaukraut Rindfleisch und Suppe. Abendmenage Nudelsuppe. Nachmittag Fuß.exerzieren.
Donnerstag 12. Oktober.
Vormittag Reitschule. Allmählich geht’s schon besser. Mittagsmenage Sauerkraut, Rindfleisch und Suppe dann Fußexerzieren. Nach 2 Stunden kam der Leutnant und ließ uns 3 Schlag spielen. Hernach wickelte er Zehnpfennigstück in ein Taschentuch. Wer zuerst ankam, dem gehörte das Zehnpfennigstück. Seubert schrieb mir einen Brief.
Freitag 13. Oktober wie gewöhnlich. Allmählich gewöhnt man sich an alles.
Samstag Abends um ½ 9 h kam der Graf, ein 17 – 19-jähriger Fahnenjunker. Ich musste ihm Zithervorspielen und sang das Couplet „Der schwere Reiter“. Er schenkte mir 1 Mark zur Erholung.
Sonntag 14 Oktober. Kam Seubert und Gustl
Montag vormittag Reitschule.
Montag 15. Oktober.
Es regnet. Außerdem sehr kalt. Nachmittag Fußexerzieren.
Dienstag. 17 Oktober.
Heute stürzte ich in der Reitschule beim Hindernisreiten zum erstenmale vom Pferde, ohne weitere Bedeutung. Ich rannte im Trab dem Hengst nach und sprang unterm Galopp wieder auf den Sattel. Mittag und Abendkost war heute unter allem Hund. Morgen kommt die Kommission zur Nachmusterung.
Dienstag 17 Okt. 16.
Vielleicht stecken sie mich zur Infanterie oder Pionier. Wo werde ich bis auf Weihnachten sein?
Donnerstag 26. Oktober 16.
Die Musterung ist vorbei. Und das Ergebnis: Pionier Infanterie. Der Dienst wird täglich langweiliger. Ich sehne mich nach der Außenwelt. Dieser militärische Stumpfsinn ist wirklich schrecklich. Letzte Woche musste ich zweimal ins Unter-Offiziers-Zimmer zum Zitherspielen. Täglich kommt irgendein anderer Unteroffizier oder Fahnenjunker, um das Schwere-Reiter-Couplet zu hören. Im großen ganzen bin ich (ohne Eigenlob) so ziemlich beliebt. Im Stall musste ich gestern und heute sämtliche Nummernschilder mit Kreide in sogenannten Druckziffern schreiben.
Am allerfadesten ist frühmorgens das Aufstehen. Dann ist auch die Stimmung danach. Jeder flucht und schimpft. Alles geht von Eile, drunter und drüber. Mit dem Fahnenjunker von Pölnitz [?] und Graf Arco [?] steh ich auf sehr gutem Fuß. Mein einziger Schmerz ist, dass ich nicht zur Infanterie kommen kann.
Freitag 3. November.
Etwas Neues: Ich bin Pionier und zwar bei der Abteilung der Minenwerfer. Mein neues Quartier Salvatorkeller.
Am Montag, den 29. Oktober marschierten wir früh 9 h von der Schwere-Reiter-Kaserne weg nach einem herzlichen Abschied von Unter-Offizier Wirtl. Tagelang hatten wir nichts zu tun als fast alle ½ Stunden zu irgendeinem Krampf anzutreten. Mittwoch den 1. Nov. war Feiertag, ich war außer der Kaserne von 1 h – 9 h Abends. Abends war ich im Deutschen Theater. Man gab „Die geheimnisvollen Mächte“. Nichts besonderes. Menage ist hier etwas besser. Aufstehen täglich um ½ 6 h.
Gestern Donnerstag 2. November
hatten wir einen Marsch von (im Ganzen) 3 ¾ Stunden zu machen, meine Füßen sind wund und offen und morgen
Samstag 4. November
geht’s nach Lechfeld. Das wird immer netter.
15 November.
Heute ist der merkwürdige Tag, an dem ich meinen 19. Geburtstag feiern kann, ich tue es aber nicht, denn Posten und Geburtstagfeiern zugleich das geht nicht gut. Die 8 Tage im Lager Lechfeld wären also glücklich überstanden. Gott sei Dank! Es war eine Schinderei, im vollsten Sinne des Wortes. Der dortige Dienst erstreckte sich auf
1. Schanzen od. „Schippen“
2. Feuer-Absperr-Kommando
3. Exerzieren.
Täglich von 5 ¼ h früh bis 6 h Abends, bei sehr wenig Menage. Während dieser 8 Tage im Lager „Bruchfeld“ brauchte ich 10 Mark und habe dabei gehungert wie ein russischer Wolf. Die Kantinenpreise sind unverschämt. Ein Stückchen Kuchen im Werte von 10 – 12 Pfg. kostet 30 Pfg. Das sind alles Privatgeschäfte des Herrn „Vizefeldwebels“. Wir führen also am Sonntag den 12. November Nachmittags 3 h von Lager Lechfeld weg, kamen dann abends 6 45 h in München Hauptbahnhof. an. Als wir nach Hause marschierten waren alle königlichen Gebäude u.s.w. mit Trauerflaggen versehen. Prinz Heinrich, ein Bruder des Leopold ist im Felde gefallen.
Abends erhielten wir nach Ankunft im Salvatorkeller, Erlaubnis bis 12 h. Ich fuhr mit der „Tram“ und 3.30 Pfg. in der Tasche nachhause, traf dort niemand an und fuhr dann sogleich in die Dachauer- Ecke Karlstraße, wo ich mich ins Kaffee zum eisernen Kreuz begab. Dort füllte ich meinen Magen mit allerhand langersehnten Leckerbissen, wie Pfannkuchen, Semmelnudeln, Kaffee und Apfelkuchen u.s.w. Den Pfannkuchen bekam ich umsonst, d. h. weil ich ein bisschen Klavier klimperte. Am nächsten Tag bekamen wir ab Nachmittag dienstfrei. Ich ging um ½ 3 h in die Stadt, besuchte einige Kaufhäuser, natürlich, nicht um zu kaufen, denn ohne Geld wird noch kein Mensch etwas gekauft haben. Abends ging ich zu Muttern. Jetzt kenne ich erst, wie gut es ist, wenn man noch eine Mutter hat. Göthe hat recht: Es ist etwas wunderbares, um die Mutter. Ihr einziges Unrecht begeht sie, dass sie stirbt.
Heute meldete ich mich zu Arzt und bekam dann 3 Tage Innendienst gegen Husten. Und nun kann ich Wachdienst machen und dabei halb erfrieren. Schöne Aussichten das.
Wir schreiben März 1917. Vogesen, Lubine 9. III. 17.
Nun liebes Intimes. Du wirst schon geglaubt haben, dein Herr hat dich ganz vergessen. Oh, nein nicht vergessen. Aber nachlässig war er. Zu bequem. Inzwischen hat sich vieles geändert. Sogar der Schauplatz meines wackeligen Lebens. Also Wir sind jetzt im Feld.
Es ging alles so schnell aufeinander.
Besichtigung – Versetzung der Mannschaft zu Ersatzkompagnie Maximilianskeller. – Dort Einweisung zum Telephontrupp; inzwischen Vereidigung – schließlich Einkleidung noch einige nette, vergnügte, dienstfreie Tage – dann Abfahrt nach Frankreich. Einen Tag in der Bahn. Verpflegung in Durmerau Abends um viertel nach 9. Daheim?
Ankunft im Hetligblasien. Nächtlicher Marsch (auf Umwegen – echt militärisch -) nach Schamppenau. Nachtquartier mit Zähneklappern in den dortigen militärischen Unterkunftshütten. Früh um 7 Uhr Weitermarsch. Mittags um viertel nach 12 Ankunft endlich – – – – – – – – In Lubine. 2 Tage wieder im Wald Marathon und zum Schluss-Einweisung in die Kompanie-Kanzlei als Telefonist – auf einige Tage. Dann Zahlmeisterschreiber – dann Post ordnen.
Nachtwachen am Telefon. Eintönige Tage. Sonntags Parademusik. Vom Krieg noch nicht viel gesehen. Heute 8. III. 17. Entlausung mit darauffolgender Telefonwache.
Lubine 14. III. 17. Am 11. III. War die erste Entlausung ekelhaftes Geschäft. Habe ein Aquarell v. Cham de Lusse gemalt. Lehrer Reger hat beschrieben hocherfreut darüber. Sonst nichts neues. Tauwetter. Gestern am 13. III. Gasmaskenprobe. Eine andere Probe wäre mir lieber gewesen. Vielleicht Ballmasken-Probe? — Wie?
Am 3. Juni. 17. halb 3 Uhr nachts
Herrliches Wetter, Schöne Abende, manchmal mit, manchmal ohne Konzert (meistens ohne -) Heute hatte ich eine Strafaufgabe zu erledigen. Und zwar durch Verfügung seiner Majestät des Herrn Hauptmann „Schlot“. Die Strafaufgabe wortwörtlich lautet:
„Ich habe jeden unerledigten Auftrag meinem Nachfolger zu übergeben“. Dieser Satz muss 100x geschrieben werden, was bereits erledigt ist. Oh, dieser „Schlot“. Sowas nennt sich Offizier und hat den Befehl über 300 Mann, von denen vielleicht der schlechteste nicht so schlecht ist, als dieser „Kompagnieführer“.
Ein moralisch und seelisch defekter Mensch, ein Mensch ist noch viel zu gut. Ein „Individuum“, dass bei lebendem Leib verfault. Wenn er angekleidet ist, möchte man ihn mit einem Totengerippe vergleichen, dem man zum Spass in eine Uniform gesteckt hat. Nein, ich will nimmer weiterschreiben. Es widert mich an. Dafür ist dieses Buch, selbst die Tinte noch zu gut. Ich habe mir bis jetzt immer noch gesagt, Es ist kein Mensch so schlecht, dass nicht ein kleines Stückchen in seinem Gemüt wäre, das noch noch einer guten – ich will gar nicht sagen: edlen – Regung oder vielleicht Handlung fähig wäre. Ich werde es bei „ihm“ suchten, vielleicht ohne Erfolg. Doch wir werden ja sehen!
Fortsetzung: zur zeit habe ich ein zwingendes Verlangen zu schriftstellern. Ich weiß nicht – kann nichts dafür ich muss. Und wenn ich dortsitze und schreibe: das Gehirn ist wie ausgetrocknet. Es klingt alles so öd und leer. Ich weiß ja zuvor schon, dass ich alles wieder ausstreichen, vernichten werde. Hilft alles nichts. Ich muss. Es geht mir, wie Maupassant in seinem „Horla“. Er muß alles tun, was ihm der „Horla“ befiehlt. Manchmal habe ich ein dringendes Verlangen zu beten. Meine Seele, meine Gedanken irgendeinem auszusprechen, unserm Gott. Ich wag‘ es nicht. Bin zu schlecht. Und doch, ich glaube doch, dass ich Gott mehr liebe, als andere, die ihn beständig auf den Lippen tragen. Ach Du lieber, lieber Gott, ich kenne dich nicht, wer weiß, was du bist, das wir als Gott verehren und anbeten, das ist ja auch ganz gleich, ich glaube auch das nicht was die Theologie erzählt, jeder hat seinen Gott, seinen Glauben, seine Anschauung. Vielleicht soll Gott nun der [Name?] sein, der uns die Ehrfurcht vor der Natur, vor der ganzen Welt einprägt. Vielleicht kommt auch daher das herrliche, mächtige Gefühl, das uns überkommt, wenn wir am Meeresstrand oder auf einem hohen Berg, oder auch in einem weiten schönen Tal stehen. Oder ist dieses Gefühl nur uns Städtern zu eigen. Nein! Ich glaube, dass es jeder hat. Unser Korporal schimpft. Er kann nicht schlafen. Ich soll zu Bett gehen. Oh, die gemeine Materie. Gute nach, lieber guter treuer Intimus. Ich geh zu Bett und werde für 6 Stunden bei den Toten weilen.
Die Welt ist schön. – – – – – – –
Am 19. September 1917
München.!
Vom 7. mit 23. desselben bin ich beurlaubt. Noch 4 Täglein, dann ist die ganze Herrlichkeit beim Teufel.
Soeben singen Soldaten. Gott sei Dank, dass diese fürchterliche Rekrutenzeit hinter mir ist. Wie lange wird’s noch dauern, bis ich wieder „frei“ bin. Frei und unabhängig von der schrecklichen Militaria.
Am 18.ds. ließ ich mir 1 Bezugsschein für 1 Anzug, 1 Hemd und 1 Unterhose ausstellen. Gekauft hab ich mir im übrigen wenig, aber das Geld war schnell alle. 1 Füllfederhalter, mit dem ich soeben schreibe. 1 Paar Wildleder-Handschuhe, einige moderne Krägen, 1 dto Krawatte. Am 21. September 17. Heute ließ ich mir 6 Porträtphotos zu 3.50 anfertigen. Abends in die tolle Komtesse (?) mit Lisa Weise vom Berliner Theater als Gast.
Sie ist entzückend in ihrem Spiel.
1 Paar Lackschuhe kosteten 41.- Mark, für den Anzug hab ich 60.- Mark anbezahlt.
Einen dicken Strich darunter, alles ist vorbei.
Am 23. September abends 8 h mit Gustl und Resi auf dem Bahnhof verabschiedet. Um 9 20 h fuhr der Zug ab. Taschentuch und Händewinken ohne Ende, verweinte Frauengesichter und bald sah man nichts mehr, als schwarze Nacht. Nun leb wohl, mein liebes Heimatland. Die Fahrt verlief, wie eben eine Eisenbahnfahrt vor sich geht, ohne besondere Vorkommnisse. Morgens um 6 h wurden wir in Appenweiler mit einem großen Stück Wurst, dto. Kommiss und schwarzen Kaffée. Dann wieder weiter, in Straßburg umsteigen bis Schlettstatt dort Aufenthalt im Bahnhofrestaurant. Hierauf 3. Klasse nach Weiler und von dort aus mit der Felbahn zur Passhöhe. Das alles ist noch erträglich, aber dann das Eintreffen bei der Kompanie!
———–scheußlich. Dann die ersten 2, 3 Tage. Noch nie in meinem Leben hatte ich einen Weinaffen. Doch an jedem Abend dieser 3 Tage war ich angeheitert. Wir hatten zu dritt eine Zeche von ungefähr 18.- Mark. Nun allmählich gewöhnt man sich wieder ein, nur hie & da lässt sich ein wehmütiges Heimatgefühl nicht unterdrücken. Nur nicht sentimental werden, weil es doch zwecklos ist. Frlein Schönhals hat mir während des Urlaubs ein Paket per Express mit großen, saftigen Birnen geschickt. Wir schreiben heute den 7. Oktober des Jahres 1917. Heute vor einem Jahr war ich noch Rekrut beim 1. schweren Reiterregiment München. So ändern sich die Zeiten. Mir geht es hier ganz gut, doch wenn ich denke, wie schön es jetzt daheim, als Zivilmann wäre, dann steigt mein Grimm über das ganze unsinnige Getue – doch es ist ja Alles umsonst. Was hilft aller Grimm & Zorn, wenn man ihn nicht in Tat umsetzen kann, ohne sich selbst zu gefährden.
Zuhause spricht man allgemein, dass im Dezember Frieden werden sollte.
Manche Zeichen sprechen dafür. So zum Beispiel die Bestellung von so & soviel 1000 paar Schuhen & Anzüge für die heimkehrenden Soldaten. Dann die Einstellung der Handgranatenfabrikation.
Anforderung lt. Divisionsbefehl von Mannschaften je 2 – 3 Mann von jeder Kompagnie zur Teilnahme am Versorgungskurs in München. Erhöhung (in Aussicht genommen) der Löhnung von Mannschaften und Unteroffizieren, die 1 Jahr & mehr im Felde stehen.
Es ist aber auch höchste Zeit, oder feiern wir Weihnachten 1918 auch noch im Kriegszustand? Niemand weiß es.
Und wer weiß wo und in welchem Zustand ich bis dahin bin.
Es ist nur gut, dass die Zukunft verschleiert vor uns liegt, wieviel Selbstmörder würde im anderen Falle unsere Erde bergen.?
Oh Schiksal ——————————
