Beschluß über die Notwendigkeit einer Pflegschaft wegen Schizophrenie

Beschluss der 1. Kammer des Erbgesundheitsgerichts

Das Original, hier links abgebildet, lässt sich weder einscannen noch abfotografieren, deshalb unten die Abschrift.
Ausfertigung.
Beschluss der 1. Kammer des ErbgesundheitsgerichtsAusfertigung.
16 XIII 801/37. München, den 18. Mai 1938
Erbgesundheitsgericht
bei dem Amtsgerichte München,
- Kammer.
Die 1. Kammer des Erbgesundheitsgerichts
bei dem Amtsgerichte München
in folgender Besetzung:
- Amtsgerichtsrat Dr. Sichler als stv. Vorsitzender
- Ob.Med.Rat Dr. Edenhofer als beamteter Beisitzer,
- Facharzt Dr. Martin Riedl als nicht beamteter Beisitzer,
hat heute auf Grund des nicht öffentlich durchgeführten
Verfahrens nach persönlicher Anhörung des Unfruchtbarzumachenden
und darauffolgender geheimer mündlicher Beratung einstimmig
folgenden
B e s c h l u s s
gefasst:
I. W e i d e m a nn Wilhelm, geb. am 15.November 1897 zu München,
verh.Kaufmann in München, Barerstr. 74/4,
im Verfahren vertreten durch Elisabeth Weidemann in München,
Barerstr. 74/4, als Pflegerin, ist
u n f r u c h t b a r
zu machen.
- Elisabeth Weidemann wird hiermit als Pflegerin bestätigt.
- Die Kosten des gerichtlichen Verfahrens trägt die Reichskasse.
G r ü n d e :
Das Städt. Gesundheitsamt München hat am 30.9./5.10.1937
beim Erbgesundheitsgericht München die Unfruchtbarmachung des verh.
Kaufmanns W e i d e m a n n Wilhelm in München wegen Schizophrenie
beantragt und die dem Antrag zugrunde liegenden Tatsachen durch ein
fachärztliches Gutachten der Universitätsklinik München vom 17.9.1937
glaubhaft gemacht.
Der Antrag ist zulässig. Das Erbgesundheitsgericht München
ist zuständig. §§ 3-5 des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nach-
wuchses vom 14.Juli 1933. § 1 der Bayer. Vollzugs-VO. vom 21.12.33.
Die Pflegerin (Ehefrau) erklärte sich mit der Unfruchtbar-
machung nicht einverstanden.
Die Familienanamnese ergibt keine Besonderheiten. Fälle von
Erbkrankheiten sind in der Familie nicht bekannt. Weidemann Wilhelm
litt schon im Jahre 1927/28 unter Verfolgungsideen und Angstzuständen.
Im Jahre 1926 stellten sich starke Depressionen ein, die wohl
äusserlich bedingt waren. Anfangs 1927 traten Verfolgunsideen auf,
er fühlte sich kontrolliert, verdächtigt usw. Am 30. August 1937
wurde Weidemann in die Psych. und Nervenklinik München aufgenommen.
Mit der Diagnose Schizophrenie kam er am 8.10.1937 zur Entlassung.
Im fachärztlichen Gutachten wird der psychische Befund wie folgt
geschildert:
„Macht einen lahmen, antriebsschwachen Eindruck. Steht seinen Er-
findungen kritiklos gegenüber. In seinem Affekt schon ziemlich ab-
gebaut. Hat infolgedessen eine gewisse Kritik gegenüber seinen
Wahnerlebnissen. Pseudokontaktfähig.“
Die einschlägige Krankengeschichte wurde beigezogen und nachge-
prüft. Auf Grund der darin enthaltenen Feststellungen, sowie der be-
obachteten Krankheitssymptome erscheint die Diagnose Schizophrenie
zweifelsfrei. Nach wissenschaftlicher Ansicht gilt diese Krankheit
als Erbkrankheit, auch wenn weitere Fälle in der Familie nicht be-
kannt sind. Weidemann Wilhelm ist somit erbkrank im Sinne des § 1
Abs.II Nr. 2 des Gesetzes. Er ist fortpflanzungsfähig.
Durch Beschluss des Erbgesundheitsgerichts München vom 17.II.1938
wurde die Untersuchung des Weidemann auf Fortpflanzungsfähigkeit ange-
ordnet. Laut Gutachten der Direktion der Dermatologischen Klinik in
München befanden sich in dem produzierten Sperma reichlich beweg-
liche Spermatozoen. Auf Grund dieses Befundes steht die Fortpflanzungs-
fähigkeit fest.
Nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft ist mit
grosser Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass etwaige Nachkommen
des Weidemann an schweren geistigen Erbschäden leiden werden.
Die Unfruchtbarmachung war daher anzuordnen.
Die Beschlussfassung erfolgte einstimmig.
Pflegerbestellung: Art.2 der 3.Asus [wohl: Ausführungs-Verordnung] V.O. vom 25.2.1935.
Kostenentscheidung: § 13 des Gesetzes.
gez. Dr. Sichler, Dr.Edenhofer, Dr. Riedl.
Für die Richtigkeit der Ausfertigung:
München, den 21.Mai 1938
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle:
[handschriftlich] Hartwig.
Dazu gehört dann wohl das folgende Beiblatt:

Die folgenden Bilder zeigen die verschiedenen Bescheide und Benachrichtigungen.







