Nachtrag
Ein Lied habe ich vergessen in den Kindheitsliedern! Wieder einmal ist es das Fernsehen, das mir dieses Lied gebracht hat; aber das war ja auch die einzige Quelle. Radio wurde bei uns nicht gehört und ich erinnere mich, dass, wenn mal jemand eines einschaltete, meine Mutter es nie lange ertrug und schnell einen Vorwand fand, es wieder ausschalten zu können. Sogar bei der Weihnachts-CD später war es ähnlich, es machte sie unruhig und sie war froh, wenn es wieder vorbei war. Wie still es bei uns gewesen sein muss.
Wolfgang Neuss träumt vom bürgerlichen Leben und möchte Rosen züchten. Ich habe die Filme mit Lilo Pulver geliebt, hier das Wirtshaus im Spessart, aber auch die Piroschka natürlich. Mein Opa, der auf diesen Seiten ja schon bekannte Gustl, hat einmal gesagt, ich wäre ihr ähnlich, das hat mich sehr stolz gemacht. Ich und so eine berühmte Persönlichkeit! Und wir sind ja auch beide eine Liselotte, sie mit langem Namen und ich mit zweitem. Vielleicht haben wir aber auch ein unverkennbares Lachen gemeinsam?
Mit einer Klassenkameradin stehe ich am Romanplatz an der Trambahnhaltestelle, nach dem Besuch des Cafés, in dem wir hin und wieder die geschwänzten Stunden verbrachten (obwohl man dort leider manchmal auch Lehrern begegnete). Wir warten auf die Tram, die 17 oder die 21, die uns nach Hause bringen soll. Sie erzählt, dass ihr Lady in Black gefällt, und sie gemerkt hat, dass Pop-Musik doch gar nicht so schlecht ist. Wieso sollte die schlecht sein? Ich stand ratlos da, verstand nicht, von welcher Perspektive sie auf die Welt blickte. Ich dagegen war auf meiner ersten Party gewesen, eingeladen von jemand, den ich kaum kannte, und demzufolge kannte ich dort auch niemand, saß einigermaßen verloren herum, hörte mir Pink Floyd und Supertramp an, die mir nichts sagten und dachte still, dass das wohl die Musik sei, die mir jetzt gefallen müsse. Genossen habe ich den Weg alleine nach Hause durch die dunkle regennasse Stadt.
In der Zeit zwischen Abitur und Studium, FSJ auf der Pflegestation eines Altenheims mit dem schönen Namen „Haus im Walde“ war Italien der bevorzugte Urlaubsort. Trampend, mit dem Zug oder mit dem Käferchen. Ich erinnere mich, dass wir nach der Freiheit im Valle della Luna beinahe verhaftet wurden, weil wir an einem öffentlichen Strand meinten, auch dort dem Nacktbaden frönen zu können. Und ich erinnere mich, wie wir in irgendeinem der vielen Cafés, die auf Felsen hoch über dem Strand lagen, die Tage mit Cappuccini und die Abende mit der billigsten Pizza Margerita vertrödelt haben. Ich erinnere mich an einen Nachmittag, an dem wir auf der Terrasse einer über einer sardischen Bucht aufragenden Kneipe uns im Schatten vor der Mittagshitze versteckten und dabei in der Musikbox „In the air tonight“ entdeckten. Aber wenn ich mir dieses Lied genauer anschaue und -höre, – Well if you told me you were drowning, I would not lend a hand – kann es nicht stellvertretend für diese Reisen stehen. Also doch Gianna Nannini? Ja!

Die Studentin
Gleich das erste Lied aus meiner Uni-Zeit erspare ich euch: „If you leave me now“ von Chicago. „You take away the biggest part of me…“ klang für mich nicht wie eine Liebeserklärung, sondern hatte einen bedrohlichen Unterton. Was sich bestätigte.
Der Weg raus aus dem Karlsruher Einzimmer-Appartment führte über den Heidelberger Emmertsgrund in eine Studenten-WG mit 5 Kühlschränken für 5 Leute und regelmäßigem gemeinsamem Lösen des Zeit-Kreuzworträtsels. Dort habe ich Narben gesehen von Schusswunden, auf dem Rücken der eritreischen Mitbewohnerin, die Soldatin gewesen war in ihrem Heimatland. Und ich? Ich betonte meine Unschuld an der Trennung mit Hilfe von Billy Joel.
Und dann war da ein Geburtstagswochenende bei Eva (es gibt außer meiner Schwester immer wieder Evas in meinem Leben) in Neckarsteinach. Als nach langer Schwüle endlich ein Gewitter losbrach, rannten ihr Freund und ich begeistert nach draußen und tanzten barfuß und lachend über die Wiesen des Orts. Heute denke ich, dass wir bestimmt misstrauisch beäugt wurden, aber damals gab es keinen Gedanken daran. Diese Eva, bei der immer alle dachten, sie käme aus Berlin und die es hasste, in diese Schublade gesteckt zu werden, hat mir Grover Washington geschenkt, fast beschämt hat sie mir berichtet, wie sehr sie den Groove mag. So schleicht sich die Leichtigkeit in mein Leben.
Ich erinnere mich an Susanne, die mich zu einer SDAJ-Veranstaltung im Dachgeschoß einer Heidelberger Altbauwohnung mitnahm. In einer Fenstergaube im Treppenhaus schlief ein Obdachloser, der wurde launig von einem weiteren Genossen begrüßt, das musste er aushalten für den warmen und trockenen Schlafplatz. Bald danach habe ich das Fach gewechselt und mich von der Politologie verabschiedet, ich hatte mir die linken Socken irgendwie individualistischer vorgestellt. Witzigerweise würde dazu „Hungry Eyes“ aus Dirty Dancing gehören, wir waren nicht nur politisch unterwegs, Susanne und ich, wir waren auch im Kino. Mit ihr war ich auch auf dem ersten Sperrmüll meines Lebens, nachts in der Altstadt. Ich war befremdet und fasziniert zugleich, was sie alles kannte! Hungry Eyes erpare ich euch.
Dieses Erinnern auf den Spuren von Melodien verändert rückwirkend meine eigene Geschichte. Diese kurzen Momente, die wie blitzende Lichter auftauchen, bekommen durch das musikalische Erobern des jeweiligen Lieds und das Aufschreiben der dazugehörigen Szene eine Gestalt und ein Gewicht, die sie vorher nicht hatten. Die eigene Vergangenheit wird weiter und bunter.
Dann gab es den Umzug nach München in die WG, ich erinnere mich an jemanden, der sie als „DreiMäderlHaus“ bezeichnet hat. Ich hatte aus Heidelberg Talking Heads mitgebracht, die Kassette lief stundenlang auf einem krächzenden Kassettenrekorder, während wir den Wänden eine neue Farbe verpassten, bis einer es nicht mehr ausgehalten hat und um andere Musik bat. Ich hätte bei der Endlosschleife bleiben können.
Aber die Musik dieser Zeit ist eindeutig Ulla Meinecke. Mit der Tänzerin lösen Frauenfreundschaften die weinerlichen Liebessongs als Thema ab. Und das steht symbolisch für diese Zeit. Die, der es im Besonderen gilt, weiß Bescheid.
„Die fröhliche Wüste, wo die Barfrau sticht wie ein Skorpion
1983 auf dem Album „Wenn schon nicht für immer, dann wenigstens für ewig“ veröffentlicht
Und die Mädels wie in Zellophan, spielen alle Saxophon“.

Und da ist es endlich, das Instrument, das mir den Weg heraus aus der lebenslangen Defensive geebnet hat, oder besser: eröffnet hat, wie der goldene Trichter sich öffnet, um den Klang in die Welt strömen zu lassen.
Und da mich München am Ende dann doch nicht wieder zurückhaben wollte, lande ich dann endlich in Mannheim. Im Ami-Schlitten mit der Maklerin durch die Mittelstraße fahren und leise aufjauchzen. Ja, hier will ich hin. Eine eigene Wohnung, die mich mit stillem Dunkel erwartet; das hatte ich gefürchtet und habe es dann mit großer Freude begrüßt. Dieselbe Mittelstraße wird in meinen Träumen zum Schützengraben, zu intensiv sind die kunsthistorischen Erforschungen der Denkmäler für die Gefallenen des 1. Weltkriegs. Und:
Ein langer Abend in Mailand in einer Bar, die dieses Lied in der Musikbox hatte, während wir uns mit diversen alkoholischen Getränken auf eine unbequeme Nacht im Käfer vorbereiteten, weil der Hausschlüssel verschütt gegangen war.
Und dann, ein paar Monate später, komme ich nachts um halb 3 vom Joe-Jackson-Konzert aus Düsseldorf zurück und da steht der neue Nachbar an der Haustüre, hat einen Hausschlüssel, aber kommt nicht so richtig zurecht damit.
Damit beginnt eine neuer Abschnitt, einer, der bleibt und immer weitererzählt werden kann. Dazu gehören dann weitere Lieder…
[…] habe ich den letzten Teil (Der Soundtrack meines Lebens – Teil 2) mit der nächtlichen Begegnung mit dem neuen Nachbarn, die ja ein großer Anfang war. Er wurde der […]
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